Was denkst Du? Kann man Menschenleben gegeneinander aufrechnen? Nicht, wenn es sich um Menschen handelt, die man liebt oder hasst, sondern wenn man die Menschen, um die es geht, gar nicht kennt.
Stell Dir bitte folgende Situation vor: Du stehst an einem Bahngleis und siehst, wie ein Zug außer Kontrolle gerät und geradewegs auf fünf Gleisarbeiter zurast. Die Gleisarbeiter bekommen davon nichts mit, und es droht ein Unglück zu geschehen. Doch Du hast es in der Hand! Du entdeckst direkt neben Dir einen großen Schalter, mit dessen Hilfe Du eine Weiche verstellen kannst. Das Ergebnis wäre, dass der Zug die fünf Gleisarbeiter nicht überrollt, weil Du ihn umlenken würdest. Allerdings würde in diesem Fall ein einzelner Arbeiter auf dem anderen Gleis ums Leben kommen…
Was tust Du? Drückst Du den Schalter und lenkst den Zug um oder lässt Du zu, dass die fünf Gleisarbeiter ums Leben kommen?
Bevor Du nun weiterliest, solltest Du die Frage für Dich mit ja oder nein beantwortet haben – ist ja bloß ein Gedankenspiel 😉
Gut, die gleiche Situation noch einmal. Der Zug gerät außer Kontrolle und das Leben der fünf Gleisarbeiter steht wieder auf dem Spiel. Diesmal kannst Du aber nicht mit dem Umstellen einer Weiche eingreifen, weil Du auf einer Brücke über dem Gleis stehst und den Zug von hier aus kommen siehst.
Neben Dir steht ein dicker Mann, der den außer Kontrolle geratenen Zug noch nicht bemerkt hat. Du könntest ihn schubsen, er würde auf das Gleis fallen und den Zug mit seinem Körper stoppen. Die fünf Gleisarbeiter wären gerettet, der dicke Mann allerdings tot.
Nun, würdest Du ihn schubsen?
Amerikanische Forscher haben dieses Gedankenspiel ins Internet gestellt und mehr als 300.000 Menschen haben die Fragen beantwortet (natürlich auf offline). Es wurden Menschen in der ganzen Welt befragt; Kinder, Erwachsene, Religiöse, Atheisten in China, in der Sahara und am Polarkreis.
Wie lauten die meisten Antworten?
Fast jeder würde die Weiche umstellen. Bei der ersten Frage würden sehr viele Menschen tatsächlich das Leben des einzelnen Arbeiters gegen das der fünf anderen aufrechnen. In der Bilanz hätte man halt 4 Leben gerettet. Allerdings würde nur jeder sechste den dicken Mann schubsen…
Ist doch komisch oder? In beiden Fällen würde man doch vier Menschen das Leben retten. Für viele Menschen macht es aber offensichtlich einen großen Unterschied, ob man durch das Umstellen einer Weiche vier Menschenleben rettet oder ob man jemanden anfasst und tötet. Mit Logik allein ist unser Handeln also nicht immer 100%ig zu erklären – und das ist auch ganz gut so, denke ich 😉
Fall zwei bedeutete doch, eigenhändig einen Mord zu begehen, um Gutes zu tun. In diesem Fall müsste man, wäre es einem ein so großes Anliegen andere zu retten, schon selbst auf die Gleise springen, um den Zug zu stoppen…
Grotesk
Ich werde nach einer anderen Lösung suchen um alle zu retten. Es gibt immer eine Möglichkeit die man nicht bedacht hat!
„und das ist auch ganz gut so, denke ich ;-)“
Das sehe ich entschieden anders. Wenn wir uns aus rein emotionalen Gründen in einer Situation moralisch fehlerhaft verhalten und mehr Leid erzeugen, als wir verhindern, dann zeigt das nur, wie wenig wir begriffen haben, worum es in der Ethik überhaupt geht. Die meisten von uns sind nicht einmal in der Lage, simpelste ethische Kalkulationen vorzunehmen und dem Ergebnis entsprechend zu handeln. Statt uns an absurden Szenarien „abzuarbeiten“, sollten wir lieber darüber nachdenken, wie man Menschen unter den ganz konkreten Umständen ihres Lebens zu möglichst systematischem moralischem Handeln (und Unterlassen!) bewegen kann. Das dürfte Herausforderung genug sein, wenngleich es nicht zum Aufgabengebiet der Psychologie gehört.
Grotesk